Dichtung und Geschichtsschreibung sind, obwohl sie auf verschiedenen Methoden beruhen, miteinander verwoben. Auch wenn die Geschichtswissenschaft Anspruch auf Sachlichkeit und Objektivität erhebt und kritische Quellenarbeit zur Grundlage hat, bezieht die Geschichtsschreibung ihre Überzeugungskraft und ihre Wirkung auch und gerade aus der Fähigkeit, über historische Ereignisse meisterhafte Erzählungen zu komponieren.
Mit dem 19. Jahrhundert ist ein neues Phänomen in das Beziehungsfeld zwischen Literatur und Geschichte getreten. Schriftsteller griffen vermehrt soziale Missstände auf und bewirkten dadurch politische, soziale oder kulturelle Debatten, Diskurse und Kontroversen. Etwa zehn Jahre nach dem Großen Krieg von 1914/18 bildete sich in Europa eine besondere Erscheinungsform dieser Erzählliteratur neu heraus: Der Kriegsroman. Eines der bedeutendsten Bespiele für die zutiefst pazifistische Ausformung dieser Literaturgattung ist der 1929 erschienene Roman „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque.
Konzertlesung und Spoken Word Poetry im Rahmen der Woche der Seelischen Gesundheit mit Marie-Luise Gunst und Claudia Kociucki
Die Texte dieser Konzertlesung erzählen davon, was unsere eigene Welt „im Inneren zusammenhält“, aber auch manchmal auseinanderbrechen lässt. Diese zeichnen mit Worten und Noten die Risse nach, die entstehen, wenn uns das Leben schüttelt. Sie tauchen die feinen Linien, die es auf unserer Seele hinterlässt, in Farbe und umhüllen sie mit Kraft und Mut.
Claudia Kociucki trägt Kurztexte und Spoken Word Poetry aus ihrem Mental Health-Programm vor; Marie-Luise Gunst liest und singt Titel ihrer drei CDs „Depression unplugged“, „Weniger ist Meer“ und „Kintsugi – Risse sind Gold wert“. Sie ist Lieder- und Theatermacherin sowie als Mutmacherin eine der Botschafter:innen der Selbsthilfe- und Betroffenenorganisation Deutsche DepressionsLiga e. V. In dieser Konstellation sind die beiden Künstlerinnen bereits in Rostock und Frankfurt auf Mental Health-Veranstaltungen aufgetreten und bieten ein Programm, das beschreibt, besingt, bewegt und berührt.
Eintritt: 8 €
Karten können direkt an der Servicetheke, unter stadtbibliothek@recklinghausen.de oder über02361/50–1919 reserviert und gekauft werden.
Zeit des Lesens ‑Zeit des Fühlens Ein Vortrag von Dr. Matthias Kordes
Der „gesellige“ Umgang mit Dichtung und Literatur spielte, wie auch der Theaterbesuch, eine zentrale Rolle bei der Formierung bürgerlicher Identität am Ende des 18. Jahrhunderts. Diese Aktivitäten standen am Beginn der Entwicklung zu einer modernen, emanzipierten und demokratischen Öffentlichkeit, die sich bewusst von der exklusiv-höfischen Sphäre absetzen wollte. Sogenannte „Lese- oder Erholungsgesellschaften“, die sich lehrreichem Zeitvertreib und literarisch-kommunikativen „Nebenstunden“ widmeten, gab es in der Spätphase der Aufklärung in zahlreichen deutschen Städten. Sie waren Übungsfelder für nicht schulische Kulturvermittlung, für unzensierten öffentlichen Diskurs, kontroverse Debatte und freien Gedankenaustausch; sie entstanden aus Freundeskreisen, privaten Zirkeln und familiär-literarischen Zusammenkünften, die sich den Werten von Aufklärung, Humanität, Bildung und bürgerlicher Moral verschrieben hatten. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts gingen daraus diverse Stränge des deutschen Vereinswesens hervor.
Der Vortrag beleuchtet diesen Strukturwandel der Öffentlichkeit um 1800 und geht solchen Anfängen in Recklinghausen nach. Dabei werden auch die Bemühungen des kurfürstlichen Pädagogen und Schulvisitators Anton Wiggermann gewürdigt, der am Ende der kurkölnischen Zeit, d. h. lange vor dem Beginn der Industrialisierung, erste Anstöße für eine organisierte Buch- und Lesekultur in Recklinghausen gegeben hat.